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Bescheidung und Exzess
Eine Hinführung von Hartwig Bischof

david oelz ist ein Maler. Sein künstlerisches Mittel und Werkzeug ist die Fotografie. Maler von seiner Ausbildung und einer längerzeitig daran anschließenden Praxis her; Fotograf von seiner aktuellen Arbeitsweise her. Eine Kombination, die nicht sogleich an die große Harmonie denken lässt – zu unterschiedlich sind ihre jeweils grundsätzlichen Herangehensweisen. Auch historisch lassen sich Spannungsmomente zwischen den beiden Bereichen leicht nachvollziehen. Die Erfindung der Fotografie löste die euphorische Erwartungshaltung aus, man sei nun endlich in der Lage, die Welt/Wirklichkeit genauso abzubilden, wie sie in Wirklichkeit ist. Die Zeit der verschobenen Realität, wie sie Malerei und Grafik über Jahrtausende hinweg mangels besserer Möglichkeiten den Menschen vorsetzte, schien vorbei zu sein; alle diese manipulativen Künste wurden nunmehr vom unüberbietbar wirklichkeitstauglichen Übertragungsmedium, der Fotografie, abgelöst. david oelz positioniert sich somit in einer künstlerischen Zwischenwelt, deren spezifische Herausforderungen er mutig und gekonnt aufnimmt. Schließlich treffen bei ihm nicht nur das Objektive des Kamera-Auges und das Subjektive des Fotografen-Auges aufeinander, unterfüttert wird dies noch durch das Malerisch-Poetische des Maler-Auges.

Aber ich möchte nicht bei david oelz beginnen, ich beginne lieber bei mir, einem Betrachter – in der Hoffnung, dass Sie sich hierbei mit mir solidarisieren. Wir stehen also vor Bildern, die als Fotografien ausgewiesen sind. Üblicherweise sind wir von Fotografien gewöhnt, dass sie uns zumindest auf zweifache Weise entgegenkommen: einmal bestätigen sie in ihrer konkreten Form – scheinbar – unseren Blick auf die Welt: die Fotografie, die den Bericht über irgendein Ereignis optisch begleitet bzw. verständlicher macht, zeigt uns dieses Ereignis in bildhafter Form genau so, wie wir es auch sehen würden, wenn wir selbst dort wären und den Standpunkt des Fotoapparates einnehmen würden. Dass diese Vergegenwärtigung in bildhafter Form geschieht, führt zum zweiten Punkt: Fotografien vergegenwärtigen etwas, das im physikalischen Sinn nicht anwesend ist – das was zu sehen ist, lässt sich nicht berühren, es riecht nicht usw., berühren und riechen kann man nur die fotografischen Drucke und die Dibond-Platten, auf die sie affichiert sind, bei den nursichtbaren Objekte hingegen gelingt dies nicht. Wie verhält sich dies nun bei den Fotografien von david oelz? Erfüllen sie diese Erwartungshaltung? Und auf welche Ereignisse oder Motive nehmen sie Bezug?

Die Arbeiten von david oelz beziehen sich allesamt auf klare motivische Vorgaben. Freilich ist seine Auswahl bei diesen Motiven von Bescheidenheit bzw. einer starken Fokussierung getragen – zumindest was den sinnlich-optischen Bereich betrifft.
Diese Bescheidung betrifft sowohl die Anzahl der ausgewählten Motive, als auch den Umstand, dass diese Motive relativ unspektakulär sind: Weder die Oberfläche einer Erste-Hilfe-Folie noch der Blick in die Innenhandfläche aus nächster Nähe entsprechen dem gewohnten Spektakel der alltäglichen Bilderflut, die mit immer ausgeklügelter werdenden Inszenierungen um unsere Aufmerksamkeit heischt. Mit dieser Bescheidenheit gesellt sich david oelz in die Reihe jener Maler und Fotografen, die sich in immer neuen Anläufen an einem Motiv abgearbeitet haben – man denke nur an Cézannes Bearbeitungen der Montagne Ste Victoire.

So eng die Grenzen auch sein mögen, die sich david oelz in seiner Motivwahl selbst auferlegt, so überbordend und geradezu exzessiv agiert er dann künstlerisch innerhalb dieser freiwilligen Einschränkung. Relativ wenige Fotografien seiner Motive aus der physikalisch fassbaren Welt dienen ihm als Bildarchiv. Dieses Archiv ist zumindest teilweise noch als Lichtfotografie mithilfe der Polaroid-Kamera angelegt. david oelz knüpft damit bewusst an die analoge Zeit der Fotografie an, als ein Foto noch als unmittelbare Lichtspur auf einem lichtempfindlichen Trägermaterial beschrieben werden konnte. Aber es wäre nicht david oelz, wenn er nicht auch hier einen weiteren Überstieg wagen würde, jenen ins Zeitalter der Digitalisierung.

Wie gelingt es nun david oelz innerhalb seiner Bescheidung dieses exzessiv betriebene Auskosten der bildnerischen Möglichkeiten zu veranstalten? Er kombiniert seine Fotografien aus dem Archiv zu Arrangements und fotografiert diese nochmals ab oder scant sie ein. Er bleibt dabei zumindest in der Vorgangsweise der Epoche der Lichtfotografie treu, denn er könnte diese Arrangements genauso gut auch im Computer herstellen: nein, nicht genauso gut, denn würde er dies tun, so würden die Resultate ganz anders aussehen. Gerade dieser Rückgriff auf die straight photography erlaubt ihm nämlich, die Kanten der Ausgangsfotografien als Bild- und Gestaltungsmittel in seine Bild(er)findungen einzubauen. Aus diesen tatsächlichen Überlagerungen entstehen Arrangements, die in Erinnerung gehalten werden; und zwar – ganz dem Exzess innerhalb der Beschränkung entsprechend – wiederum bildlich in Erinnerung gehalten werden. Obwohl david oelz mit immer neuen Rahmensetzungen, die sich aus den Überlagerungen ergeben, die Beschneidung zu seinem wirkmächtigen Kompositionsprinzip erhebt, erzeugen die Resultate eine faszinierende Horizonterweiterung. Diese Arrangements von david oelz bewegen sich in ihrem „visuellen Überschuss“ in Richtung einer neuartigen Ausarbeitung der althergebrachten Bildgattung des Stilllebens.

Allerdings sind diese Arrangements nur mehr sehr bedingt eine Anordnung tatsächlicher Objekte – nämlich relativ flacher Fotopapiere. Sie sind darüber hinaus Bilder von Bildern. Trotzdem sind es keine Nachahmungen, wie dies bei einem bloßen Abfotografieren eines Fotos der Fall der wäre. Und es sind auch keine abstrakten Fotografien, denn sie abstrahieren nicht von der Abbildung einer Sache. Vielmehr stehen wir vor malerisch-fotografischen Beschreibungen erlesener Motiv-Arrangements; diese Arbeiten unterwandern auf höchst angenehme Weise jegliches „trügerische Bescheidwissen“ im Sinne einer billigen Bestätigung dessen, was wir alle ohnedies schon immer gesehen haben. Die Arbeiten von david oelz helfen uns vielmehr dabei, die Dinge so anzusehen, als würden wir sie zum ersten Mal sehen.